Wartungen in NRW und etwas mehr…

Vergangene Woche waren wir auf Wartung in Nordrhein-Westfalen tätig und trafen zwei ganz interessante Orgeln an, die hier mit ein paar Fotos dargestellt werden soll. Also Instrumente abseits aller Aufmerksamkeit, aller Wohlgeformtheit und abseits allem populärem mainstream.

Hier zunächst einmal das vierregistrige Instrument in Reckenroth (Schleiflade von Horn 1895, I/4) bei Limburg, das wir Ende kommenden Monat ausreinigen werden und klanglich etwas herrichten wollen. Das auf eigener Kanzelle aufgebaute Cornett war ursprünglich 2 fach, jetzt einfach. Dann gibt es noch ein Gedackt und Gemshorn 8′ und eine Flöte 4′.  Sieht interessant aus, klingt aber nicht besonders, was zu ändern wäre.

Horn-Orgel in Reckenroth

Dann waren wir an einer Walcker-Orgel aus 1940, II/13+3TR, elektropn. Kegel-und Taschenladen in der Nähe von Aachen. Diese Orgel ist technisch ganz gut in Schuß, entspricht aber leider im Klang nicht den Erwartungen (ihre Seele ist diesem Werk durch deutschgründliche Übereifrigkeit hinausgeblasen worden). Auch das wäre z.T. durch einfache Maßnahmen zu korrigieren. Ja, da denke ich mit Wohlgefallen an die warme Dusche des Principal 8′ in Bovesse.

Walcker-Orgel aus 1940 II/13+3 elektr.pneum. Kegel, Taschenladen

Kaum daheim angekommen, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, da sticht mir das Ars Organi 1/März 2019 ins Auge: der exakte Nachbau einer Voitorgel in Budapest. Also dort, wo sich die Populisten brav die Hände reiben und über alles „Fremde“ ihren Hass auslassen.

Nun, das ist nicht mehr der berüchtigte „Historismus“, der seit der deutschen Romantik als derbste Form des Kulturverfalls gebrandmarkt wurde, sondern es ist nur noch blanker, blutleerer Kitsch, der den Nihilismus des braven, deutschen Orgelbauerhandwerks dick unterstreicht. An der Aufmachung im Ars Organi streiten süßlicher Farbnebel auf der Titelseite und das große Engagement des Szabó Balázs gegeneinander.

Für das letztere wird man noch Verständnis aufbringen, während die Schokoladenverpackung mit historisch aufgemachtem Spieltisch den totalen Tiefstand des einst führenden europäischen Orgelbaus markiert. Selbst wenn die Vision eines Orgelbaus vor den Weltkriegen als großartig und erinnerungswürdig bezeichnet werden könnte, dann ist die Realisierung mit heutiger Technik und Hörgewohnheiten der ewig Angestöpselten ein grausames Spiel auf der Basis von oberflächlichem Augen-und Ohrenschmaus, der mit der ehemals tiefen Verbundenheit von Europäern und romantischer Orgelkultur nichts, aber auch gar nichts zu tun hat.

Man kauft halt ein Möbel, das ein Besessener zu Orgelmusik bewegen kann. Im Prinzip eine total idiotische Idee, nur, dass der Vereinzelung des Idioten eine kapitale Industrieidee begleitend zu Seite steht und damit genügend Interessenten und eine echte Gemeinde aufgerufen sind, dabei zu sein, um so dem Werk Bedeutung und Geltung zu verschaffen.

An solchen Beispielen erkennen wir, wie armselig es ist, nur auf Vergangenheit angewiesen zu sein, weil eben der Digitalismus, der entscheidende Gegner des Ohrs, keine schaffenden Kräfte mehr zulässt. Es sind jetzt nur noch Ingenieure gefragte, keine Kunstschaffenden mehr.

Wir sitzen nicht auf den Schultern von Riesen, von wo aus wir die Geschichte und das Kulturschaffen von Jahrtausenden überblicken und uns dieses Ausblickes freuen dürfen, nein, wir sind so weit herabgesunken, dass wir diesen Ausblick in einfache Rechenaufgaben ummünzen und einsammeln, anstatt Kreativität und Schaffenskraft auf die Gegenwart und Zukunft zu richten.

Ganz ehrlich gesagt, ich weiß auch gar nicht, ob das überhaupt noch möglich wäre.

In jedem Fall ist es bedauernswert, dass wir gerade im Orgelbau, wo uns tagtäglich die Vergangenheit via Material und Klang befragt, nur noch im Gleichschritt mit „Fortschritt“ und „Vollendung der Technik“ beschäftigt sind und keinen Weg mehr sehen (neben dem riesigen Umweltdilemma) auf konstruktiver Kultur zu bauen.

gwm

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