Im letzten „Ars Organi“, dem Hochglanzorgan der ausgeklungenen Orgelbewegung, fand ich einen Diskussionsbeitrag, der mich wieder auf die Wurzeln dieser scheinbaren „Bewegung“ zurück führte.
Es geht um eine Buchbesprechung „Karlheinz Schüffler – Phytagoras, der Quintenwolf und das Komma“, die vom Autor, einem Mathematikprofessor, als total daneben qualifiziert wurde.
Die Art und Weise der Argumentationen, damals in den 20er Jahren (Freiburger Orgeltagung 1926, kurios, aber nachvollziehbar, dass ein Jahr später „Sein und Zeit“ von Heidegger erschien), waren ähnlich gestrickt, wie uns das heute nach über 90 Jahren wieder serviert wird.
Zunächst einmal bin ich persönlich der Auffassung: einen Quintenwolf erklärt man nicht mit Zahlen sondern man führt ihn per Pfeifen- oder Saitenstimmung vor und lässt dann die Zuhörer entscheiden, welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. So übrigens wäre mit allen zur Diskussion stehenden Stimmungen zu verfahren. Wer die Feinheiten einer Kellnerschen Bachstimmung en detail gehört hat, der braucht keine mathematischen Belehrungen. Wenn das Interesse weiter greift, wäre angebracht die praktische Realisierung durch die entsprechende Intervallstimmung zu erfahren. Tabellen, Computer, mathematische Konstruktionen wären dazu nicht erforderlich.
Der mathematische Schleier vor der Musik und dem Musikinstrument verunmöglicht uns eher in eine peinliche Abstraktion abzugleiten, die das Musizieren in ein Theoretisieren verunglimpft, das uns gerade den lebendigen Zugang zu dieser Musik verwehrt. (Nietzsche nannte diesen Zustand die innerliche Bildung für äußerliche Barbaren).
Die Mathematik, übrigens eine Wissenschaft, die keiner allgemein gültigen Definition unterliegt, die von den beiden Herren Billeter und Schüffler in ihrer Auseinandersetzung beschworen wird, erscheint mir, nach über 50 jähriger Tätigkeit im Orgelbau, als ein Monstrum, das den wirklichen, phänomenologischen Zugang zur lebendigen Orgel und ihrer Musik nicht nur blockiert, sondern verweigernd auf Geleise schickt, die dem ursprünglichen Gedanken von Musikentfaltung, sei er klassischer oder romantischer Natur, völlig entstellt. Man denke sich nur Mendelssohn oder Liszt mit einem Stapel Exceltabellen die Vektorrechnungen der Eulerschen Tongitter und ihren Temperaturvorgängen studieren.
Wenn Katheder und Computer auf den Orgelbau einwirken wollen, ohne Rücksichtnahme, dass das Maß an Technik und Wissenschaft ein begrenztes sein muss, weil lebendige Leidenschaft und Kreativität darunter verschwinden, dann wird am Ende ein Konzert in Form einer Diskussion aufgelöst, ohne, dass eine einzige Note gespielt werden muss. Das wäre in der Tat eine echte moderne Projektion, die zudem kritische Kreation hervorbringen würde.
Als Lehrling hatte ich das Glück, von einem Meister mit einer seltsamen Empfehlung in den Orgelbau eingeführt zu werden. Erst Jahre später habe ich begriffen was er damit eigentlich sagen wollte:
Wer eine Orgel verstehen will, der sollte alle Bücher zur Seite legen und sollte es sich im Untergehäuse dieser Orgel bequem machen, um dort einen Tag zu sitzen, zu staunen, zu riechen, zu tasten und ganz langsam dabei zu erfahren, was dieses „organum“ zu sagen hat. Nahe an den Dingen bleiben, auch mal rechnen und Geometrie betreiben, aber die Dinge auf sich zukommen lassen, Zeit und Geduld anstatt Technik investieren.
Wäre der Orgelbau auf dieser technischen Stufe stehen geblieben, wohl Mitte des 19.Jahrhunderts, er würde heute noch Feste der Freude und Begeisterung auslösen.
Heute jedoch, wo der Intonateur mehr in sein Smartphone als ins Pfeifenwerk klotzt, noch den Professor dazwischen blöcken zu hören, das wäre des Satyrspiels schon zuviel.
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