Die Orgel, Fetisch zur Weihnachtsfeier

Immer wieder wenn man genötigt wird in Zeitungen über sein Fachgebiet lesen zu müssen, ergreift einem die blanke Wut über Dummheiten, die dort laut verkündet werden. So wird vor Weihnachten gerne das Terrain „Orgelmusik & Orgelbau“ von unserer Oberflächenjournaille aufgegriffen und vergewaltigt, ohne dass sich der geringstmögliche Tiefstand bei  solchen Recherchen zeigt. Alles löst sich da in Nebel und Geschwafel auf. Zuletzt gesehen bei der Süddeutschen Zeitung, die in Ihrer vergangenen Freitagausgabe bereits in den Schlagzeilen für Verwunderung sorgte.

Wir lesen da: „Orgeln wie die von Johann Fux in Fürstenfeld zählen jetzt zum „Immateriellen Kulturerbe“. Klar, dass ein Idiot, um im Wortspiel von Herrn Prantl zu bleiben, das Wesen der von der UNESCO vergebenen Auszeichnung nie und nimmer verstanden hat.

Ich will gar nicht so weit ausholen und den platonischen Unterschied zwischen Idee und Objekt oder Materie bemühen, aber es muss doch klar sein, dass das Brauchtum des deutschen Orgelbaus und die dazugehörige Orgelmusik ausgezeichnet wurden und nicht wie man dem Zeitungsleser mit Bildern und lauten Begriffen klar machen will, es handle sich um fassbare Gegenstände oder gar bestimmte Orgelwerke oder Orgelbaufirmen.

Auch der zweite Artikel, bei dem der Organist Michael Hartmann mit zweifelhaften Daten in der Orgelhistorie herumstochert, die Orgel sei von Byzanz nach Europa gekommen, stimmt uns ärgerlich. Zwar wurde das Byzantinische Reich (etwa 650 v.Chr.-330 n.Chr) in der Geschichtsschreibung ganz allgemein als „Byzanz“ bezeichnet (also nicht nur die Stadt Byzanz, die dann ab 330 Konstantinopel genannt wurde und heute Istanbul heißt, sondern das Byzantinische Reich hatte um 1025 seine Ausdehnung bis Österreich, war also in Europa angekommen).

Die Orgel aber stammt aus der griechischen Antike (und Griechenland war lange Zeit durch Byzanz absorbiert worden), auch wenn man sich darauf geeinigt hat , dass Ktesibios aus Alexandria (Ägypten) die Orgel, wie wir sie heute definieren, im Jahr 246 v. Chr. erfunden hat. Denn Ktesibios war ein griechischer Techniker, was wir heute eher mit künstlerischem Handwerker übersetzen sollten. Außerdem ist bekannt, dass in der griechischen Antike die Orgel (als hydraulos= Wasser-Aulos) sehr oft genannt wurde. Vitruv  (ein römischer Gelehrter um 100 v.Chr.) und Heron haben erste genauere Skizzen zu diesem Instrument geliefert. So wäre also auch aus dem Grund, dass man anhand der gefundenen römischen Orgeln, die zweifellos Kopien der griechischen waren, mit der man übrigens die antike Musiktheorie rekonstruieren konnte, die klare Aussage richtig gewesen: „Die Orgel stammt aus dem europäischen Kernland der Antike, aus Griechenland“ (und wie sie in die mitteleuropäischen Kirchen kam, ist eher umstritten).

Sogar der römische Cäsar Nero lernte die Orgel im Jahr 66 n.Chr. in Griechenland kennen und gelobte selbst Orgelspieler werden zu wollen, was den mittelalterlichen Kirchen den Geschmack auf das Instrument zunächst vermasselte. Wir können aber heute davon ausgehen, dass der römische Adel und seine Führer reichlich Gebrauch vom Orgelspiel machten.

Nach Untergang des weströmischen Imperiums verschwand das Instrument in Rom, wurde aber in „Ostrom“, also Konstantinopel weiterhin auf den Kaiserhöfen benutzt. Und so erfolgte  im Jahr 757 n.Chr. eine Schenkung einer Orgel vom byzantinischen Kaiser Konstantin V.  an den König Pippin der Kleine (714-768, Sohn Karls des Großen, König der Franken).

In die Kirchen kam die Orgel, entgegen allen falschen organologischen Behauptungen, gegen 680 n.Chr. in England, wo der heilige Aldhelm ausführlich und mehrfach über dieses Instrument berichtete. Woher diese Orgel stammte ist völlig unbekannt, aber dies war der Einstieg in die Kirche. Im Jahre 950 n.Chr. wurde in Winchester St. Peters eine „Riesenorgel“ mit 400 Pfeifen errichtet, die von 70 starken Männern betrieben werden musste (wahrscheinlich völlig übertriebene Darstellung der Sache, wie es eben im Mittelalter oft geschah). Auch erste Orgelliteratur stammt aus englischen Kirchen, so dass wir heute ziemlich klar England als das Ursprungsland der  beginnenden Orgelkultur in europäischen Kirchen benennen können.

Was aber entscheidend für die heutige Darstellung der Orgel, des Orgelbaus und der Orgelmusik ist, das ist die gegenwärtige miserable Lage dieses Brauchtums. Und hier wird in den mir zugängigen Medien ein wunderliches Gebet veranstaltet, in dem man sich nur noch den Orgelbauer als Nikolaus mit weißem Bart und hirschgezogenem Schlitten vorstellen muss. Da stoßen solche Artikel, die den Anschein erwecken wollen, wir sind bestens mit unserem uralten Brauchtum des Orgelbau- und Spiels vernetzt, unterbergmäßig bitter auf.

Bis vor dem ersten Weltkrieg kann man sagen wurden laufend neue Kompositionen für die Orgeln geschrieben, jeder Organist konnte improvisieren, eine dynamische und kreative Orgelwelt hatte Zuhörer, Komponisten und Interpreten, die auch abends im Familienkreise musizierten. Mit Aufkommen der Massenmedien änderte sich das Verhältnis der Gesellschaft zur Musik radikal. Die Orgel wurde in vielen Kirchen zu einem Fremdkörper, der viel Geld kostete und der keinen Komponisten mehr interessierte. Die leichte Kost der Medien war schneller, flexibler, konsumgerechter =  massentauglicher. Lassen wir uns nicht von Repräsentations-Exemplaren täuschen, die alle paar Tage in den Medien, wie Werbefernsehen eben ist, gezeigt werden. Und noch weniger sollten wir uns täuschen lassen von solchen Zeitungsberichten.

Nur die Erinnerung der Alten, die als Kinder unter Orgelmusik an religiöse Wahrheiten herangeführt wurden, führte oft noch zum Erhalt des einen oder anderen Instruments. Völlig verstörend ist für mich der Umstand, dass wir heute unter diesen Umständen Orgeln am laufenden Band vernichten. Wir werfen einem außer Rand und Band geratenem Präsidenten der USA Ignoranz in Sachen Umweltschutz vor, während unsere Kirchen völlig intakte und historisch wertvolle Orgeln auf den Müll werfen, nur weil Organisten ihren Moden nach „Franzosenart“ frönen. Auf der anderen Seite sehen wir keinerlei Komponisten von Rang, die in den vergangenen 50 Jahren Werke für Orgel geschrieben haben. Sie sei eben tot, wie es Hindemith schon in den 20er Jahren gesagt hatte.

Als Orgelbauer, der  die inflationäre und fabrikmäßige Fertigung von Serienorgeln erlebt und mitgestaltet hat, weiß ich wohl, dass Mäßigung immer ein Grundgebot von großer Kultur war. Die rein technische Perspektive unter der das deutsche Sachverständigenwesen Orgelbau zulässt, erscheint mir als Reise in die totale Sackgasse, in der ohnehin keine große Musik mehr aufblühen kann. Man erstickt durch Bürokratie und Gelehrtenhaftigkeit jedes zarte Aufblühen, jeden Versuch eines künstlerischen Neuanfangs.

Wir können sehr gut an großen Kulturepochen studieren, wie sich vergangene Zeiten ihren Ruf bewahrt haben. Im Angesicht von Klimakatastrophen und dem Versagen von Kirchenmusikschulen ihren Schülern selbständiges Musizieren beizubringen, habe ich größte Bedenken, dass wir nochmal ein Auflachen Neuer Orgelmusik erleben dürfen, wie das noch Ende der 1960er Jahre in Deutschland der Fall war.

Meine Gespräche in den letzten Jahren mit Kirchenmusikern unterschiedlichster Prägung haben mir gezeigt, dass Orgelmusik durchaus nicht am Zustand der Kirchen gemessen werden sollte. Orgelmusik als Weltkulturerbe könnte sich durchaus in Konzerten einer anderen Entwicklung verschreiben als es die christlichen Religionen tun.

Vielleicht führen ein paar Zufälle in andere Richtungen.

(gwm)

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