Deutscher Orgelbau und Orgelmusik = Weltkulturerbe

Neben dem neapolitanischen Pizzabäcker, dem mit Gemüse gefüllten aserbaidschanischen Dolma, dem bolivianischen Alasita-Fest, der Basler Fastnach und weiteren Bräuchen, die viel damit zu tun haben, geldbeseelten Touristenströmen den Weg ins jeweilige Land zu ebnen, hat es nun auch Orgelbau und Orgelmusik in Deutschland zu einem Eintrag in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes 2017 geschafft.

Ich bin wahrlich nicht stolz darauf, meinen geliebten, deutschen Orgelbau nun in dieser Reihe von „Bräuchen“ wieder zu finden. Dagegen finde ich es sehr schön, wenn mir rätselhafte Bräuche, Sitten und Lieder gezeigt werden, deren Rätselhaftigkeit ich mir erhalten darf indem ich in der Möglichkeit belassen werde, sie ohne Medienrummel wahrnehmen zu dürfen. Ohne dieses ständige Wortrauschen von den Analysten und Welterklärern, die alles Rätselhafte als Fragwürdiges entkleiden, und das für däppische Shows im TV für kommende „Millionäre“ aufbereitet werden soll.

Welches Interesse der deutsche Staat auch immer haben mag, solche Kulturformen in der Welt  dargestellt und in schöner Lautstärke in die Welt hinaus gesetzt zu haben, es scheinen aber prioritär wirtschaftliche Interessen dahinter zu stehen, die mit ihrer ursprünglichen, tiefergehenden Kultur wenig gemein haben. Je tiefer eine Kultur des Volkes ist, desto weniger offenbart sie sich einem anderen Volke. Das ist eine philosophische Erkenntnis, die vor allem Martin Heidegger bewusst war, als er sich weigerte Erklärungen seiner Philosophie „hinterher zu schieben“, weil das Schwierige schwierig bleiben sollte.

Selbstverständlich ist es schön, wenn unser Orgelbau für ein paar Tage aus dem Elfenbeinturm seine Gefieder in die Welt reckt und beklatscht wird, auch auf die Gefahr hin, dass mancher Weltbürger besorgt nach Deutschland blickt und sich fragt: „was sind das nur für seltsame Bräuche, die da in Siemens-Bayer-Land von den Organfarmern auf ihren Feldern wohl betrieben werden?“ Denn nach meiner Erfahrung werden diese Darstellungen, wie sie in unserer Presse wortreich beklatscht werden, in anderen Ländern, in denen es keine oder nur reduzierte Orgelkultur gibt, völlig missverstanden. Neben Kuckucksuhren stellen Orgeln eben ein verrücktes wie unnötiges Gut in Bolivien oder Bangladesch dar, das die heutige materielle Not eher vergrößert als lindert. Der mittelamerikanische und katholische Pfarrer schätzt die Pfeifenorgel gar immer noch als ein ihm widersprechender Kontrapart ein, dessen Sprachgewalt in jedem Fall gezügelt werden müsse.

In allen mir zugängigen Zeitungen konnte ich nachlesen, wie herrlich es in Deutschland zugeht. So sollte der Reichtum der Kirchen durch die durch den Staat eingezogene Kirchensteuer so enorm sein, so dass im Zentrum Mitteleuropas das wirtschaftliche Gedeihen der Orgelbaufirmen biblisch paradiesische Zustände versprach. Der Orgelsachverständige Kaufmann tritt dabei als „über Tasten tanzender, vitaler Körper in Erscheinung, der in Erhabenheit und gleichermaßen Demut aufgeht“. Nebenbei, so ganz nebensächlich also, wird der Erbauer der Orgel, die Werkstatt Klais in Bonn erwähnt, sonst hört man keine andere Möglichkeit seine Orgel stimmen oder reparieren zu lassen. Wir Orgelbauer kennen dieses Phänomen bestens. Die „scheinbare“ Objektivität mit der in der Presse von „Orgelfachleuten“ über Orgelbau dahergeredet wird, löst sich nun in Luft auf, mit dem Daumen wird auf die Firma gedeutet, die den Auftrag erhalten soll.

Es ist schade, dass es unterlassen wurde, diese Eintragung zum immateriellen Weltkulturerbe der Menschheit zu verkünden, indem damit der Erhalt anerkannter Orgelwerke verbunden sein soll. Denn wenn es auch nur eine additive Formel zu diesem Eintrag gewesen wäre, so hätte man die Verpflichtung zum Erhalt vieler Orgeln in Stein gemeißelt, das wäre schon sehr viel gewesen. Und den Orgelsachverständigen, die sich grundsätzlich mehr um ihre Egodarstellung als um die große Historie kümmern, hätte man zukünftig vor der Zerstörung vieler Instrumente  (Giessen Linkorgel, Murrhardt Walcker, Dortmund Reinoldi uva) das Papier um die Ohren schlagen können.

Dass der Deutsche Orgelbau und die Orgelmusik zum Kulturerbe erklärt wurden, beantragt durch das Auswärtige Amt und die ständige Vertretung der BRD bei der UNESCO, hat aber seine Berechtigung in einem noch viel tieferen Sinne, wie ich das in den letzten 20 Jahren selbst erlebt habe. So konnten wir die Orgel in Kairo, die ich gerade wieder anlässlich einer Wartung besucht habe, durch den Einsatz und Spenden des dortigen deutschen Botschafters restaurieren. Die Orgeln in Costa Rica, die wir reparieren oder restaurieren durften, wurden mit großzügigem Interesse vom dortigen Botschafter begleitet. Alle Organisten, die dort spielten, wurden und werden finanziell von der Botschaft unterstützt. Ein Auftrag in San Salvador wird ausschließlich mit Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert. Ebenso haben wir das in Australien, Bolivien, Kolumbien erfahren dürfen. Hier zeigte sich eine große Verantwortung der deutschen Regierung, was die kulturellen Erbschaften aus anderen Zeiten betraf. Von anderen Ländern, auch deutschsprachigen, wie der Schweiz oder Österreich, aber auch Frankreich oder England, habe ich nie gehört, dass so massiv in Sachen Orgelerhalt gesponsert wurde.

(gwm) nach einer Nahostreise

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