zur Restaurierung pneumatischer Orgeln

In den vergangenen Wochen bin ich mehrfach von Organisten und Orgelbauern kontaktiert worden, die teilweise auf Probleme an pneumatischen Orgeln erinnert haben.

Dazu möchte ich ein paar Hinweise aus meiner Erfahrung geben, die auch aus dem Kennenlernen der Verhältnisse im europäischen und amerikanischen Ausland resultieren.

Zunächst einmal möchte ich anraten, dass bei pneumatischen Orgel, egal um  welches System es sich handelt, nie dogmatisch ein von vorneherein klarer und grundsätzlicher Weg vorgegeben ist.

Wo und wie kauft man ein

Zitiert sei ein Orgelbauer, der aufs heftigste Membranen, die als „Katalogware“ gekauft und eingebaut wurden, bemängelte, selbst hat er aber einen kompletten pneumatischen Spieltisch beim „Katalogorgelbauer“ Heuss für eine restaurierte Walcker-Orgel in Ilmenau gekauft, was wohl mehr als widersprüchlich erscheint.

 

Zum Leim

Ein weiteres Manko bei Fachdiskussionen ist, sich für oder gegen bestimmte Materialien auszusprechen. So wird zum Beispiel von Warmleim als das einzig vernünftige Leimmittel gesprochen, ohne zu unterscheiden, dass wir hier mindestens mit Bezeichnungen wie Knochen- oder Hautleim differenzieren sollten. Weil eben Dichtungsleder(mit Hautleim) anders verleimt werden soll , als Holz via Papier auf Holz (mit Knochenleim). Hinzu kommt, dass der kalt zu verarbeitende Fischleim sehr gut für Außendienstmonteure, aber auch zum Abdichten von Bleirohren Verwendung finden kann. Wichtig ist eben bei allen „Naturleimen“, dass das Wiederlösen der Verleimung problemlos geschehen kann, was zum Beispiel beim handelsüblichen Weißleim (Dispersionsleim) nicht der Fall ist.

 

Pneumatische Einzelteile

In der Tat kann der Einbau von pneumatischen Einzelteilen (Bälgchen, Membranen) die als Steuerungselemente im Spieltisch oder den Relais der Orgel dienen zu fatalen Fehlregulationen führen, wenn die Maße dieser Teile auch nur geringfügig vom Original abweichen. Daher ist es sinnvoll bei Restaurierungen die originalen Teile zu verwenden, wenn dies möglich ist. In jedem Fall aber soll die ursprüngliche Reguliereinstellung am Spieltisch und am Relais in der Orgel beibehalten werden, was vor Arbeitsbeginn eben dokumentiert werden sollte.

 

Zum Leder

Auch der Auffassung, dass jedem System (Auslass- oder Zustrom) und den dazu gehörigen Funktionselementen sein eigenes, ganz bestimmtes Leder zusteht, kann nur begrenzt gefolgt werden, weil wir nur wenig Möglichkeiten haben, die Variationen beim Spaltleder zu ordern oder gar zu beeinflussen. Die Weichheit, Dehnbarkeit, Dicke und Fülle des Leders hängen von den Gerbverfahren ab. Dem Orgelbauer bleibt nichts anderes übrig als hier Erfahrungen mit verschiedenen Lieferanten und dessen Produkten walten zu lassen. Für Membranen und Taschen haben sich Ia amerk. havanna Spaltleder, sehr gut bei uns bewährt, während bei ganz bestimmten Bälgchen Darmleder extra dünn zu verwenden war. Dazu sollte man noch sagen, dass dieses Leder extrem schwierig zu verarbeiten ist.

Die Palette also, von extrem dünnem Leder zu Spaltleder dünn oder mittel ist recht groß, umfasst aber noch lange nicht die verschiedenen Balgledersorten bis hin zum Rindbalgleder das rund 5 Quadratmeter Fläche umfasst.

 

Störungen an pneumatischen Orgeln

Ein Grund für das Nachlassen der pneumatischen Steuerungen war oft der Umstand, dass neu hinzugefügte Motoren nicht den erforderlichen Winddruck von 110-120mmWS hatten, der notwendig gewesen wäre, alle Bälgchen ordentlich zu treiben. Vor Einbau der Motoren konnte man noch die Bälgetreter verantwortlich machen, wenn das eine oder andere Ventil nicht öffnete.

Wir hatten außerdem mehrmals festgestellt, dass gelötete Versorgungsrohre durch hohe Feuchtigkeit aufgegangen waren, was ebenfalls den Winddruck gewaltig reduzierte. Eine Orgel in England, so wurde es uns gesagt, hatte mehrere Jahrzehnte nur eingeschränkte Funktion, weil ein zum Spieltisch führender Kanal an unsichtbarer Stelle gerissen war. All das sind die Hauptgründe warum man im Deutschland der 1950er und 60er Jahre von Pneumatik nicht mehr viel wissen wollte.

 

Historie

Die Entwicklung  pneumatischer Orgeln bei Walcker kann in einem historischen Rahmen gefasst werden:

ab 1890 Walcker baut pneumatische Kegelladenorgeln mit Keilbälgchen

diese Instrumente sind robust und einfach konzipiert, angelehnt an mechanische Ideen

ab 1892 versuchsweise elektropneumatische Orgeln werden gebaut

ab 1905 Elektropneumatik, vermehrt kommen Auslaßsysteme (Membran-, Taschen-,                          Hängebälgladen) zur Anwendung

ab 1920 pneumatische Orgeln werden zum Zwecke von Selbstspielorgeln(Organola) weiter verfeinert, besonders im Koppelbereich finden Platzeinsparungen und interessante Verbesserungen statt

ab 1930 das Kleinorgelprogramm von Walcker wird nun mit elektrischer Traktur neu durchdacht (Multiplexsystem) und angeboten.

Es ist möglich, dass man noch vereinzelt pneumatische Orgeln von Walcker nach 1930 ins amerikanische Ausland geliefert wurden, weil dort eben Vertreter darauf bestanden, das alte längst bewährte System zu verwenden. In jedem Fall war nach 1945 klar, dass dorthin nur noch elektropneumatische Kegelladenorgeln geliefert wurden. Und die pneumatischen Orgeln auf dem amerikanischen Kontinent, vielleicht mit Ausnahme von Mexiko, drifteten mangels Fachkräften ins technische Jenseits, als nach rund 80-100 Jahren die Lederteile soweit verschlissen waren, dass man ohne gründliche Reparatur die Orgel nicht mehr benutzen konnte. Dazu kam, dass Restaurierungen solcher Instrumente finanziell in den nun wirtschaftlich sehr begrenzten Ländern Lateinamerikas an ihr Ende kamen.

 

Bilder

 eine der letzten pneumatischen Riesen, um 1912 gebaut von Furtwängler& Hammer mit Taschenladen und teilweise 25m langen Bleirohren zum Fernwerk. Diese Orgel ist mit Taschen-Windladen gebaut worden.

 

Die Walcker-Orgel Opus 2117, gebaut 1926 nach Quito, San Agustin, mit immerhin 18 Register. Die Koppelanlage wurde außerhalb des Spieltisches in der Orgel untergebracht. Der Spieltisch siehe unten, sieht ganz aufgeräumt aus.

Der typische Arbeitsplatz mit Hautleim und Spaltleder zum Beledern der Bälgchen

 

Schöne Weihnachten und ein gutes Neues wünscht:

gwm

(in der Wüste ist wenigstens alles zeitlos und es strahlt eine wie immer geartete Sonne…)

 

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Eine Antwort zu zur Restaurierung pneumatischer Orgeln

  1. claudius winterhalter sagt:

    hallo gerhard,
    habe gerade mal wieder in Deinen blog-beiträgen rumgeschnüffelt…wie immer sehr informativ und literarisch wertvoll…hoffe es geht Dir gut und die zeitlose wüste hat Dich wieder in die zeit gelassen…klasse bild von Dir…sujet etwas edward hopper mit warhol im hintergrund…;-)
    grüße aus dem z.z. total verregneten schwarzwald,
    hau rein, claudius

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