Lieb Orgel-Land magst ruhig sein…

Deutschland, vormals das Land der Musik, jetzt das Land der Orgelmusik und des Orgelbaus, wobei wir das brachiale Element dieser Kulturansprüche etwas dekonstruieren wollen, das für den deutschen Eisenbahningenieur steht, der wiederum in Schild-Papenburg bereits seine Gleise verlegen konnte. Es wird an allem scheitern was mit Tiefsinn und feinsten Nuancen (eine Franzosenvokabel) einst seine Hörer verzauberte. Wobei auch in diesem Zauber ein hohes Maß an Dekadenz und Schauspielerei (der wir heute 2/3 unserer Freizeit opfern) untergeordnet war, wie Nietzsche in „Der Fall Wagner“ wunderbar herausarbeitete.

Was man den Deutschen heute vorwerfen kann, auch im Hinblick auf ihre tatsächlich aus tiefsten Inneren herrührender Bereitschaft die Nazivergangenheit aufzuarbeiten, ist ihre monströse Historienvergewaltigung in allen Kulturdingen. Da werden Museen aufgeputzt  um den von Werbefernseheffekten genotzüchtigten Dauerglotzer wenigsten zwei, drei Blicke abzuringen. Weimar, Leipzig, Berlin müssen als historisch aufgeputzte Märchengärten herhalten. Das Wort „Kultur“ flimmert in deutschen Stammsendern am laufenden Band, selbst Kopfschmerztabletten sind Kulturgut auf Knopfdruck. Wer heute „Arte“ guckt, der gilt bei den meisten Glotzern schon als Intellektueller.

In den 1950-60er Jahren hat man in Westdeutschland alles alte Orgelzeugs entsorgt und meinte, dem Zauberlehrling gleich, die Geister der Nazivergangenheit aus den Kirchen damit entfernt zu haben. Die Verwechslung von „alt“ und „historisch“ und „bedeutend“ fiel erst viel später auf.  Nun, nach drei Jahrzehnten der Verwüstung werden genau die umgekehrten Methoden angewandt. Jede aufgefundene und als „historisch“ gebrandmarkte Pfeife wird als unbedingt erhaltungswürdig klassifiziert, egal ob man diese noch stimmen kann  und völlig egal, ob sie überhaupt noch klingt. Ganze Register hängen wie Herbstlaub in gutklingenden Orgeln, nur weil es eben denkmalgerecht sein soll. Das treibt nicht nur die Kosten einer Restaurierung in die Höhe, das Unverständnis der sinkenden Kirchenbesucherzahl solchen Unternehmungen gegenüber nimmt drastisch zu.

Ein weiteres historisches Missverständnis macht sich breit, im Osten des Landes, dass nun alles was wir im Westen in den 1950er unter „Nazi-Entsorgung“ erledigt haben, dort in die Gefahr gerät als „DDR-Müll“ klassifiziert und auf gleiche Weise entsorgt werden soll: Die Sauer-Orgel im Volkshaus in Jena, 1987 als Opus 2207 gebaut mit III/59, die bis zu seinem kürzlich erfolgtem Tod von Hartmut Haupt umsorgt wurde.

Trotz Pflegenotstands ist das ein Instrument, das für eine typische Saalorgel des damaligen DDR-Orgelbaus eine historische Dimension besitzt.  Hier kann sich jeder einer Petition anschließen, die unter anderen von Olivier Latry unterzeichnet wurde: Petition Sauer-Orgel Jena.

Wir hoffen nicht mehr darauf, beim Auseinanderbröseln der Kirchen in Mitteleuropa auf einen Kulturschock, auf ein Aufatmen und tiefere Auseinandersetzung mit Schaffen und Setzung von Kulturzielen, wie das einst hier selbstverständlich war. Aber was wir erhoffen, das sind einzelne Meilensteine zu schaffen und zu erhalten, die uns erinnern, die sowohl in die Vergangenheit wie in die Zukunft deuten können.

gwm

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