Wir Deutschen wissen spätestens seit Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dass die Einstiegsdroge in die Kommunikation der „Begriff“ ist. Wer ihn nicht kennt, hat Pech gehabt, ähnlich dem Verkehrsteilnehmer, der die Bedeutung des Vorfahrtschildes nicht kannte und munter drauf los fuhr.
Mein stiller Begleiter in Sachen „Orgelbegriff“ war bisher in meiner rund 54jährigen Orgelbauerlaufbahn das A5-Büchlein des Carl Elis „Orgelwörterbuch“, das in der E.F.Walcker & Co. Bücherei in Ludwigsburg die Numero 173 trug.
Schön und unaufgeregt an Elis‘ Büchlein ist, man findet immer was man sucht und es fließt eine klare Sprache, die den gesuchten Begriff deutlich benennen kann.
Ganz anders als in sprachlichen Ungetümen wie Locher, Töpfer, Ellerhorst oder gar Karl Lehrs monsterdeutsch verfasstes Buch „Die moderne Orgel“ aus 1912. Leute.., zu dieser Zeit hatte Thomas Mann die feine Feder bereits gespitzt und Georg Trakls Gedicht „Grodek“ stand davor den deutschen Expressionismus in den Bann zu schlagen. Da also würgten noch deutsche Organisten und Orgelbauer an ihren Zungen, als ob ein Stück Rindfleisch an ihren Gaumen kleben würde.
Auf Mahrenholz möchte ich nicht detaillierter eingehen, das ist „Oberlehrerdeutsch“ mit ausgestrecktem Zeigefinger, von der Kanzel die Gebote herunterbrüllen zur geneigten Aufmerksamkeit. Ein unmöglicher, barbarischer Stil, den manche unserer Sachverständigen sich zu eigen gemacht haben, was dem Orgelbau gewaltig geschadet hat. Es gibt einfach Menschen, die noch nichts von der Dynamik des Deutschen Idealismus gehört haben und die immer noch glauben die Dogmatik des Mittelalters sei ja gar nicht so übel gewesen.
Leider konnte ich keine orgellexikalische Literatur der vergangenen 8o Jahre finden, die sich mit den Gewohnheiten der Spätromantik und ihren Spielhilfen beschäftigt.
Im „Lexikon der Orgel“, ein aufgeblasenes Ungetüm von Hermann Busch und Matthias Geuting, war nicht einmal „Automatische Pedalumschaltung“ zu finden. Die „Melodiekoppel“ fand keinen eigenen Beitrag, dafür wurde sie unter „Koppeln“ gelistet. Es wird ausgiebig über Komponisten im “ Lexikon der Orgel“ schwadroniert, was ich leichter und umfassender im „MGG – Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ zu finden weiß, und zwar in der Ausgabe der Digitalen Bibliothek, wo man heute für ein paar Euro vierzehn prall gefüllte Bände auf den Computer ziehen kann. (Jeder Artikel, jeder Band kann sogar als PDF generiert werden und in die eigene Bibliothek leicht und gut integriert werden.
Da nun mein gegenständliches „Elis- Orgelwörter-Büchlein“ so richtig zersaust daher kommt, habe ich diese Schrift digitalisiert und stelle sie hier zum Download als PDF zur Verfügung, was ganz gut auch zum Ausdruck taugt: https://1drv.ms/b/s!Aq53TTjRsRgFgecV0qc3m2a_chj5cg?e=2uHqch .
Hier eine gedruckte Doppelseite, wie sie in dem PDF aufgemacht sind.
Zum Abschluss noch eine kleine Geschichte, die zeigen soll, dass der „Begriff der Orgel“ keinesfalls ein schwerfälliger Geistesbegriff sein soll, der nur den wenigen Schreibtischtätern als geistiger Zierrat zu dienen habe. Sondern, es ist und bleibt kein Geheimnis, dass in den Begriffen des Handwerks bereits die Lösungen bei einer Problemsuche enthalten sind. Insofern haben wir tatsächlich eine Form der Dialektik in unserem Gewerbe vorliegen, mit der auf Lösungssuche gegangen werden kann, bevor wir mit Schraubendreher und Bohrmaschine am Werkstück erscheinen.
Vor einigen Jahren bei einer Orgelbauer-Sachverständigen Tagung trat ein Orgelbauer, Inhaber eines größeren Unternehmens auf mich zu mit der Frage, ob man, die bei einigen pneumatischen Orgeln anzutreffenden mit Löchern versehenen Bleirohre korrigieren muss, oder ob das sogar als grober Pfusch markiert werden sollte. Er selbst hatte mit seinem Unternehmen noch keine hinreichende Erfahrung mit pneumatischen Orgeln sammeln können, diese Fragen traten hin und wieder bei Wartungen an solchen Instrumenten bei ihm auf.
Nun sind das natürlich Erscheinungen, die von Fall zu Fall geprüft werden sollten, aber es gibt auch eindeutige Hinweise in Form von Zeichnungen oder hier im „Elis-Orgelwörterbuch“, die allerdings in gedanklichen Zusammenhang gebracht werden müssen.
Ich zitiere zunächst das Orgelwörterbuch:
Ausgleichsloch. Ein in der Zuführung zu pneumatischen Bälgchen oder Membranen angebrachtes kleines Loch, das die schnelle Entleerung des Bälgchens oder der Membran sichern soll. Sehr häufig ist in die Ausgleichsbohrung noch eine Regulierungsschraube eingesetzt, sodass sich die Schnelligkeit, mit der das Bälgchen oder die Membran zusammenfällt genau abstimmen lässt.
Hier nun weitere Erkenntnisse aus anderen Objekten:
Auf Zeichnungen der Firma Walcker, besonders bei mit Organola bestückten Salonorgeln, fand ich solche Einrichtungen, wo Ausgleichsbohrungen mit Schrauben reguliert werden können.
Bei einem anderen Orgelbauer in Thüringen waren diese systematisch über das ganze Klavier angebracht.
Nun also zurück zur Frage, ob man Bohrungen in Bleirohre zur Entlastung anbringen darf, wenn die Repetition leidet oder andere Beeinträchtigungen zu finden sind. Da wäre zunächst zu prüfen, ob der Winddruck nicht überhöht ist ( wir haben schon Winddrücke über 150mmWS in „normalen“ pneumatischen Steuerungen gemessen, was völlig überhöht ist und mit solchen Maßnahmen nicht zufriedenstellend geklärt werden kann).
Also setzen wir voraus, dass ein gebräuchlicher Winddruck im pneumatischen System von 90-110mmWS vorliegt und keine überlangen Bleirohre von 20-30m betroffen sind, hier nun alle Maßnahmen ausgeschöpft sind, ohne das Problem zu lösen, dann bohren sie doch ein Loch von 1mm ins Bleirohr zu Testzwecken. Und wenn das erfolgreich ist, ohne Nebeneffekt, dann ja, dann geht das.
Zu hoher Winddruck malträtiert das Ledersystem. Hinzu kommt, dass wir bis zum I.WK Leder mit Biogerbung im Orgelbau hatten, heute wird chemisch gegerbt, was bei Ausstromsystemen wie Taschen-Hängebalgladen nur noch Lebenszeiten von 30-40 Jahren bereitstellt.
Peter Dohne/Sauer meinte in der Schrift „Die Restaurierung der Berliner Domorgel und Fragen der Instandsetzung pneumatischer Instrumente“ das hier am Berliner Spieltisch der Winddruck lt. Kostenanschlag auf 115mmWS festgelegt war, aber während der technischen Montage 1904 auf 135mmWS (Paul Walcker) festgelegt wurde. Bei ihrer Restaurierung in 1985-1990 habe man den Winddruck auf 90mmWS gesenkt mit dem Ergebnis, dass die pneum. Relais präziser gearbeitet haben als zuvor. Der Grund war schlicht und einfach der, dass das Ausstromsystem mit dem Pfeifenwinddruck harmonieren muss. 135mm Systemdruck gegen 90mm Pfeifenwinddruck, das funktioniert nicht. Außerdem vertritt Dohne den Standpunkt, dass für Membranen und Bälgchen kein gespaltenes Leder verwendet werden soll.
have a nice summer ….
gwm
Anmerkung v. 22.06.21
Die Überschrift „Der Begriff der Orgel“ stellt eine kleine Provokation dar: es handelt sich um einen der leersten, nichtssagende Begriff überhaupt, der an Allgemeinheit kaum mehr zu übertreffen ist. Ja, dieser Begriff unterscheidet noch nicht einmal zwischen dem „Naturtoninstrument“ und der „elektronisch synthetisierten“ Nachahmung der Orgel.
Aber den Finger auf die Wunde legen, war mir einen Versuch wert. Denn als Orgelbauer ist man manchmal schon erstaunt, wie leger in manchen Schriften über Begriffe des Orgelbaus schwadroniert wird. Andererseits gibt es sehr differenzierte Begriffe aus dem 19.JH und dem beginnenden 20.JH., die heutzutage kaum unter Orgelbauer bekannt sind, die aber für Gestaltung und Fehlerfindung reichhaltige Hinweise geben können. Deswegen dieser kleine Exkurs ins „Begriffliche“ des Orgelbaus. gwm